Leseempfehlung zum Muttertag: Madeleine Millers „Galatea“

Wenn man Douglas oder Rewe Glauben schenkt, dann freut das teure Mütterlein zum Muttertag nichts mehr als ein Duftwässerchen der unteren Preiskategorie nebst einer herzförmigen Schachtel Pralinen. Oder vielleicht ein Tee mit dem Namen Frauenwohl? Wenn ich das sehe, würde ich am liebsten eine Flasche Frauengold auf ex trinken – aber ich trinke nicht, und außerdem wurde das hochprozentige Tonikümchen schon vor Jahrzehnten vom Markt genommen.

Aber was schenkt man der Mutter, wenn man ihr gerne etwas schenken möchte – weil sie wundervoll ist, nicht, weil es der Kalender und die Werbung verlangen?

Ich habe mir selbst jedenfalls vor ein paar Wochen Madeleine Millers „Galatea“ verehrt, ein schmales Bändchen – nicht nur im Vergleich zu den Mammutwerken „Circe“ und „Das Lied des Achill“, für die die Autorin zurecht international gefeiert wird. Von diesen beiden unterscheidet das Werk jedoch nicht nur die Dicke, denn es ist keine Nacherzählung, sondern eine Fortspinnung der berühmten Pygmalion- Erzählung. „Galatea“ beginnt, wo Ovid endet: Die schöne Statue ist zum Leben erwacht und nein, ihr Schöpfer ist überhaupt nicht glücklich darüber, wie sie sich entwickelt. Schwangerschaftsstreifen entstellen den einst vollkommenen Leib, und kaum des Redens mächtig, beginnt sie schon Widerworte zu geben – zumindest, bis der strenge Gatte züchtigend einschreitet.

Es ist eine überaus gelungene, bitterböse Erzählung über den männlichen Blick auf Frauen und auch über männliche Geschichtsschreibung geworden – meiner persönlichen Einschätzung nach auch deutlich zugänglicher als beispielsweise „Circe“, wo von der Leserschaft doch einige Vorkenntnis verlangt wird.

Ergänzt wird der Schmuckband durch Illustrationen der Malerin Thomke Meyer, ein kundiges Nachwort von Andreas Knabl sowie die Originalversion von Ovid.

Absolut zu empfehlen, nicht nur als Geschenk zum Muttertag.

Joan Weng

Der Artikel erschien zu erst auf www.zweiundvierziger.de, dem Blog der 42erAutoren